Als die Pflastersteine fliegen lernten

Die meisten Tischbomben explodierten genau auf drei, zwei, eins. Doch wenige Sekunden später knallte es erneut, und auch die letzte Nachzüglerin spuckte bunte Federn und Zettel aus. Alle lachten. Mir fiel ein zusammengerollter Zettel vor die Füsse, auf dem stand: «I’m still standing, yeah, yeah, yeah!» Der gleichnamige Song von Elton John ertönte sofort aus meinem inneren Radio. Ich wurde diesen Ohrwurm an diesem Abend nicht mehr los.
Der Song ist einer meiner Favoriten, um durch die Küche zu tanzen. Dann singe ich laut mit, und am Ende bin ich einfach nur todmüde und liege glücklich auf dem Boden meines Zimmers. Zurück zu den Tischbomben: Sie stammen von der ungewöhnlichsten Geburtstagstorte, die ich in meinem Leben gesehen habe.
Diese riesige Holztorte mit Tischbomben als Kerzen wurde auf Rädern durch das Foyer der Kanti gezogen. Die Kanti Olten ist nämlich schon fünfzig! Eigentlich einundfünfzig, aber das mit den Zahlen nehmen wir nicht so genau.
Unser Französischlehrer nahm im letzten Sommer auch den «genauen» Geburtstag der Kanti zum Anlass, uns ein paar Geschichten zu erzählen. Er war nämlich als junger Sechstklässler an der Kanti, als diese neu gebaut worden war. Viel Zeit für Unterricht blieb anfangs nicht. Denn die grosse Einweihungsfeier der neuen Schule und das riesige Fest am 15. Juni 1974 standen vor der Tür. Die ganze Schule war also vorbereitet.
Seine Klasse hatte irgendeinen Schiessstand, aber das schien nicht die prägendste Erinnerung zu sein. Eher die Menschen und vor allem die Geschichte des Foyers mit den Spinden. Dort gab es nämlich unter anderem ein Bierfass mit so einem Zapfhahn dran. Erst mal eine tolle Idee, denn so entsteht weniger Müll, oder?
Tja, bei so vielen Leuten hatte dummerweise jemand den Zapfhahn nicht richtig zugedreht, und der ganze «nagelneue» Teppich war gar nicht mehr so brandneu, sondern vor allem pitschnass. Und so ging das Fest zu Ende, und nach der Entdeckung des «kleinen» Teiches im Erdgeschoss brauchte die Kanti auch schon die ersten neuen Teppiche. Das war also der offizielle Tag eins. Am 10. Mai 2025 dürfen wir nun das Jubiläum feiern, sicher nicht so gross wie damals, aber hoffentlich genauso unvergesslich.
Aus diesem Anlass ist auch die Ausstellung entstanden, an deren Vernissage ich war. Verschiedenste Erinnerungsstücke aus 50 Jahren Kantonsschule wurden zusammen- getragen. Wir waren sehr überrascht: Von Kleiderbügeln über Designerstühle bis hin zu schönen alten Uhren und Lampen war vieles dabei, was wir nicht kannten. Bei den Kleiderbügeln habe ich sogar gelesen, dass sie in den 80er-Jahren zum Aufhängen von Jacken benutzt wurden, und habe mir die Szene gegenüber unseren chaotischen Trögen sehr ordentlich vorgestellt.
Im zweiten Stock hing ein Zeitstrahl der Schulgeschichte, und ein ehemaliger Physik- lehrer erzählte mir unglaublich stolz von einem eindrücklichen Jubiläumskonzert der Kanti Olten in Rom. Da war es für mich als Textliebhaberin am interessantesten: viele alte Zeitungen, Zeitschriften und Maturabücher. Auch das «Fröschli», eine Schülerzeitung aus den 80er-Jahren. Für einen Franken konnten die Jugendlichen damals lesen, was ihre Mitschülerinnen und Mitschüler so beschäftigte.
Die Schreibenden haben wohl auch ein paar Mal über die Stränge geschlagen. Es gab sogar einen Verweis des Kantons! Sie schrieben über alles, was sie im Schulalltag beschäftigte. Ein Artikel hiess zum Beispiel «Wie Pflastersteine fliegen lernen» und handelte vom Anderssein in einer Gesellschaft.
In diesem Moment wünschte ich mir vor allem eines: Dass wir heute, nach all den Jahren, ein Stück weiter sind – und dass sich alle Menschen an unserer Schule willkommen und zugehörig fühlen, unabhängig davon, wie sie sich kleiden, wen sie lieben oder welche Gedanken und Meinungen sie vertreten. Ich hoffe, dass jeder und jede die Möglichkeit hat, offen über die eigenen Wünsche und Bedürfnisse zu sprechen.
